Bioavailability and impact of sediment-bound endocrine disrupting chemicals on fish in context of flood events
- Bioverfügbarkeit und Auswirkungen von sedimentgebundenen endokrin wirksamen Chemikalien auf Fische im Kontext von Hochwasserbedingungen
Müller, Anne-Katrin; Hollert, Henner (Thesis advisor); Schäffer, Andreas (Thesis advisor); Segner, Helmut (Thesis advisor)
Aachen (2020)
Doktorarbeit
Dissertation, RWTH Aachen University, 2020
Kurzfassung
In den vergangenen Jahren haben eine Vielzahl von Studien gezeigt, dass sich diverse Umweltschadstoffe im Flusssediment anreichern. Darunter befinden sich auch solche Schadstoffe, die das endokrine System stören - sogenannte endokrine Disruptoren (EDs). Europaweit wurde eine Östrogene Aktivität in Flusssedimenten mittels in vitro Biotests von 0.02 bis zu 55 ng 17β-Estradiol (E2) Äquivalenten (EEQs)/g Sediment nachgewiesen. Dies ist von besonderer Bedeutung, da bereits bekannt ist, dass EDs schon in geringster Konzentration im Wasser von einigen Nanogramm pro Liter zur Verminderung der Reproduktionsleistung von Fischen führen können. Vor allem die Feminisierung männlicher Fische wurde als ein adverser Effekt der EDs Exposition mit hoher Umweltrelevanz beobachtet. Kennzeichen für die Feminisierung der männlichen Fische sind die Produktion des weiblichen Eidotterproteins Vitellogenin und die simultane Entwicklung sowohl männlicher als auch weiblicher Geschlechtsmerkmale innerhalb eins Individuums, bekannt als Intersex. Dies hat eine verminderte Reproduktionsleistung zur Folge, was bis hin zum Aussterben von einer ganzen Fischpopulation führte. Hingegen ist bislang wenig erforscht, ob die im Sediment abgelagerten EDs bioverfügbar für Fische sind und das endokrine System negativ beeinträchtigen. Die im Sediment zwischengelagerten Schadstoffe könnten durch Resuspension (und Desorption), hervorgerufen durch z.B. menschliches Einwirken wie Ausbaggern, aber auch natürliche Ereignisse wie ein Hochwasser, demobilisiert werden und so in hohen und potenziell toxischen Konzentrationen für Fische in der Wasserphase verfügbar werden. In den letzten Jahren wurden einige extreme Hochwasser in Mitteleuropa inklusive Deutschland beobachtet. Das Auftreten solcher extremen Ereignisse wird zukünftig im Kontext der globalen Klimaerwärmung mit großer Wahrscheinlichkeit zunehmen. Daher wurde vom Europäischen Parlament die Direktive 2007/60/EC zur Risikobewertung von Hochwasserereignissen erlassen. Bestandteil einer solchen Bewertung ist unteranderem die Evaluierung potenzieller Schadstoffquellen als Folge des Hochwassers. Die Hauptzielsetzung dieser Arbeit, als Teil des interdisziplinären Projekthaus Wasser - gefördert durch die Deutsche Exzellenz Initiative - , war es daher: (i) die Bioverfügbarkeit der sedimentgebundenen endokrin wirksamen Schadstoffe in Hinblick auf ihre Remobilisation während eines Hochwasserereignisses abzuschätzen; (ii) die damit verbundene Gefahr einer Störung des endokrinen Systems in Fischen während eines solchen Hochwasserereignisses zu evaluieren und (iii) die Auswirkungen der sedimentgebunden EDs auf heimische Fischarten in einem Fluss mit hoher sedimentbürtiger Belastung abzuschätzen. Diese Studie liefert gemäß der Forderung der europäischen Kommission Aufschluss über ein bestehendes Umweltproblem, trägt dazu bei, dieses Risiko einzuschätzen und ermöglicht somit eine regulatorische Handlungsfähigkeit. Um die Bioverfügbarkeit von sedimentgebundenen EDs abzuschätzen, wurde ein Fluss in der Nähe von Leipzig, der zuvor als "Hot-Spot" für endokrine Wirksamkeit im Sediment identifiziert wurde, die Luppe, als Untersuchungsort gewählt. Die endokrine Aktivität des Sediments in der Luppe sowie die Konzentration einiger EDs wurde mittels chemischer Analytik (LC-MS/MS) untersucht, zusätzlich zu einem neuartigen in vitro Biotest, der in Anschluss an eine chromatische Auftrennung direkt auf der Dünnschichtplatte durchgeführt wird (plate Yeast Estrogen Screen (p-YES)). So konnte gezeigt werden, dass der Großteil der endokrinen Aktivität aus dem Sediment von 20 ± 2.4 ngEEQ/g auf die hohen Konzentrationen von Estron (E1: 50%) und Nonylphenol (NP:35%) zurückzuführen ist. Des Weiteren trug E2 mit ca. 14% maßgeblich zu der endokrinen Aktivität bei, während die Konzentrationen und Wirksamkeit von 17α-Ethinylestradiol (EE2) mit 1% vernachlässigbar waren. Zwei passive Probenahmesysteme (polar organic chemical integrative sampler (POCIS) und Chemcatcher) wurden verwendet, um die Bioverfügbarkeit dieser Stoffe aus dem Sediment der Luppe unter Suspensionsbedingung ähnlich dem eines Hochwassers zu untersuchen. Anhand der passiven Probenahmesysteme konnte gezeigt werde, dass NP, E1, E2, aber auch EE2, unter Suspensionsbedingungen in umweltrelevanten Konzentrationen aus dem Sediment in die Wasserphase frei wurden (NP 18 µg/L, E1 14 ng/L, E2 0.2 ng/L, EE2 0.5 ng/L). Beide Probenahmesysteme erwiesen sich dabei als geeignet für die Anwendung in einem Sediment-Wasser-Suspensionssystem. Darüber hinaus wurde in einer Laborexpositionsstudie mit juvenilen Regenbogenforellen (Oncorhynchus mykiss) die Umweltrelevanz dieser remobilisierten endokrinen Schadstoffe aus dem Sediment abgeschätzt. Hierbei wurde untersucht, ob die Aufnahme der remobilisierten endokrinen Schadstoffe aus dem Sediment der Luppe während eines simulierten Hochwassers zu Veränderungen des endokrinen Systems dieser Fische führte. Dazu wurden die Forellen über 21 Tage gegenüber Sediment unter konstanter Suspension in nachfolgenden Behandlungen exponiert: (i) einem belasteten Sediment aus der Luppe, (ii) einem geringfügig belasteten Kontrollsediment, (iii) einer seriellen Verdünnung aus belastetem Luppe- und Kontrollsediment (1:8; 1:4; 1:2) und (iv) einer Wasserkontrolle. Die mittels in vitro Biotest nachgewiesene Estrogene Aktivität und die detektierten Konzentrationen von E1 und NP mittels LC-MS/MS in den Sedimenten, dem Wasser sowie in Blut- und Gallenproben der exponierten Fische aus den unterschiedlichen Behandlungen bestätigte die Bioverfügbarkeit der sedimentgebundenen EDs unter Hochwasserbedingungen. Interessanterweise wiesen die gemessenen Konzentrationen von NP und E1 im Wasser und Fisch, Blut sowie Galle, übereinstimmende Muster auf, was den Schluss nahelegt, dass die Aufnahme der aus dem Sediment remobilisierten Stoffe über die Wasserphase stattfand. Die Induktion von estrogenabhängigen Gene in der Leber der männlichen Fische, die gegenüber dem Sediment aus der Luppe exponiert wurden, zusammen mit erhöhtem Vitellogenin Gehalt gemessen in der Schleimhaut dieser Fische deuten auf eine endokrine Antwort in den männlichen Fischen hin. Darüber hinaus war die Abundanz von Transkripten kodierend für eine Vielzahl von Genen in der Leber, die an der Zellzykluskontrolle beteiligt sind, in den Luppe exponierten Fischen signifikant vermindert. Selbiger Effekt wurde auch in Fischen der Sedimentkontrolle beobachtet. Diese Veränderungen auf Genebene stimmt mit den histologischen Veränderungen in der Leber auf Organebene überein. In den Lebern aller exponierter Fische, ausschließlich der Wasserkontrolle, wurden lokal begrenzte Zelllysen, Veränderungen des Nukleus sowie Infiltration von Immunzellen beobachtet. Dies lässt den Rückschluss zu, dass die Exposition gegenüber den gelösten Sedimentpartikeln einen zellulären Stress ausgelöst hat. In einer Feldstudie wurde zudem untersucht, ob die an der Luppe heimischen Fische durch den Kontakt zu dem hoch belasteten Sediment endokrine Veränderungen wie Intersex aufweisen. Hierzu wurden Schleien und Rotaugen an der Luppe gefangen sowie an einem Referenzfluss, der Laucha, zusätzlich zu Fischen aus einer kommerziellen Aquakultur, die als Referenz gelten. Benthisch lebende Würmer (Lumbriculus variegatus) wurden dem Luppesediment gegenüber exponiert, um zu evaluieren, ob sedimentgebundene EDs über die Nahrung an die Fische weitergereicht werden können. Die vergleichsweise 153-fach höhere Estrogene Aktivität gemessen mittels in vitro Biotests in den Sedimentproben der Luppe bestätigte die Laucha als Referenzfluss. Des Weiteren wurde eine Estrogene Aktivität von 14 ng EEQ/mg in den Wurmextrakten gemessen, was bestätigt, dass die Nahrung einen Expositionspfad für Fische darstellen kann. Während sich die gemessenen Konzentrationen an NP im Blut der Fische von der Luppe nicht von denen der Laucha unterschieden, wurde eine Induktion des Biomarkers Vitellogenin in den an der Luppe gefangenen männlichen Fischen im Vergleich zur Laucha und den Referenzfischen aus der Aquakultur beobachtet. Untersuchungen der männlichen Gonade erbrachten jedoch keinen Hinweis auf den Einfluss von endokrin wirksamen Schadstoffen. Die Ergebnisse lassen den Schluss zu, dass sedimentgebundene Schadstoffe an der Luppe zu der Gesamtbelastung an EDs in den Fischen beitragen, diese scheint jedoch nicht zu einer Beeinträchtigung der Gonaden Entwicklung zu führen und somit voraussichtlich den Fortbestand der Populationen nicht negativ zu beeinflussen. Diese Arbeit konnte herausstellen, dass Sedimente sowohl eine Senke als auch Quelle für EDs darstellen können. Die sedimentgebundenen EDs wurden während der Suspension des Sedimentes, ähnlich wie in einem Hochwasserereignis, bioverfügbar für die exponierten Fische, wobei eine Aufnahme über die rückgelösten EDs im Wasser den Hauptexpositionsweg darstellen könnte. Die passiven Probenahmetechniken (passive sampling) stellten sich als äußerst hilfreiche Instrumente heraus, um die Bioverfügbarkeit von sedimentgebundenen EDs unter Suspensionsbedingungen zu bewerten. Diese könnte auch in einem regulatorischen Kontext zur Anwendung gebracht werden. Zusammenfassend werden die in dieser Arbeit gewonnenen Ergebnisse zu einer verbesserten Risikobewertung von sedimentgebundenen endokrinen Schadstoffen beitragen.
Einrichtungen
- Fachgruppe Biologie [160000]
- Lehrstuhl für Umweltbiologie und -chemodynamik [162710]
Identifikationsnummern
- DOI: 10.18154/RWTH-2020-04225
- RWTH PUBLICATIONS: RWTH-2020-04225